17.05.2012 Impressionen
aufgeschrieben von Wolfgang Stephan
Überführungsfahrten pflegen ihre eigenen Reize zu haben. Zwar stellen sie kein primär kommerzielles Unternehmen dar, sondern sind vielmehr eine Verbindung des Nützlichen mit dem Angenehmen. Wenn man ein Schienenfahrzeug schon von A nach B verbringen muss, dann kann man auch gleich Fahrgäste mitnehmen, sind doch auf diese Weise oft interessante Routen möglich, die sonst niemand fahren würde. So war dies der Fall, als der Gläserne Zug 491 001 am 2. Oktober 1985 anlässlich der 150-Jahr-Feiern der Deutschen Bundesbahn von seinem Heimat-Bw in München zur Jubiläums-Ausstellung in Bochum-Dahlhausen überführt wurde.
Die Deutsche Gesellschaft für Eisenbahngeschichte nahm nämlich die Chance wahr, ihren Mitgliedern eine Fahrt auf vielen Umwegen anzubieten. Man konnte fast annehmen die Initiatoren hatten Schwierigkeiten, auch nur einer Verbindungskurve entlang ihrer Reiseroute zu widerstehen. Für den Verfasser dieser Zeilen begann die Reise im Bahnhof Frankfurt-Flughafen, den der Glaszug aber nicht etwa auf direktem Wege erreichte. Vielmehr bog er von München über Nördlingen-Aalen-Stuttgart-Heilbronn-Mannheim kommend bereits in Groß-Gerau von der Hauptstrecke ab und nahm seine Fahrt über Kranichstein - Arheilgen - Neu Isenburg und Frankfurt-Sportfeld. Aber er kam immerhin, trotz der vielen Umwege, an. Schließlich war der "Leib- und Magenzug" vieler DGEG-Mitglieder bereits in Zürich-Kloten gewesen und auch schon in Wien-Schwechat. Da musste dem Frankfurter Rhein-Main-Airport selbstverständlich ebenfalls die Ehre gegeben werden:
"Der Glaszug besucht die Flughäfen Europas".
Hier also stieg, wie gesagt, der Verfasser dieser Zeilen zu und zügig ging es gen Kelsterbach, wo schleunigst die Fahrtrichtung gewechselt wurde. Schließlich gibt es gerade im Raum Frankfurt so viele verschiedene Verbindungskurven, die sehnsüchtig darauf warteten, vom Prachtstück des Bw München 1 und Schrecken des AW Bad Cannstatt unter die Räder genommen zu werden, so dass es sich die Reiseleitung nie verziehen hätte, wäre sie einfach nach Mainz weitergefahren. o ging es zunächst über Ffm.-Niederrad nach Ffm.-Griesheim, wo auf einem Stumpfgleis ein weiteres seltenes Stück auf seinen nächstenEinsatz wartete, der Lufthansa-Airport-Express. Wir hatten allerdings immer noch nicht genug von den Gleisen dieser Stadt und setzen die Fahrt fort über Ffm.-Außenbahnhof nach Ffm.- West, wo ein letztes Mal Kopf gemacht wurde.
Ehe wir Frankfurt endgültig verließen, wurde allerdings auf der
Verbindungskurve vom Westbahnhof zum Verschiebebahnhof vor der
spiegelnden Fassade des Gebäudes der Messe-Verwaltung ein kurzer
Fotohalt eingelegt. Auf diese Weise konnte man kurz vor der
Pensionierung (1) des Gläsernen Zuges gleich deren zwei auf ein Bild
bekommen - der Geist des kriegszerstörten
ET 91 02 ließ grüßen.
Doch nun war wirklich Schluss mit dem Herumgekurve, wir verließen
Frankfurt in schneller Fahrt Richtung Wiesbaden und weiter nach Koblenz
– jedenfalls bis Hattersheim. Ein IC lag vor uns und dem waren wir wohl
etwas dicht aufgefahren; denn im besagten Bahnhof Hattersheim zeigte
ein Signal gebieterisch "rot". Zwar sprang es im berühmten letzten
Moment auf "grün", doch als unser Triebwagenführer, Herr Büttner,
aufschalten wollte um durchzustarten, tat sich nichts.
Tja, wenn eins der normalerweise recht zuverlässigen Schienenfahrzeuge
kaputtgehen will, dann pflegt es dieses möglichst zur Hauptverkehrszeit
im Durchfahrgleis zu tun, denn sonst lohnt es ja wirklich nicht. Genau
an solchem Ort und zu solcher Stunde kam es dem Gläsernen Zug in den
Sinn.
Mit umwölkter Stirn verließ Herr Büttner den Wagen, um sich auf die
Fehlersuche zu begeben, gefolgt von unserem "DGEG-Reisemarschall",
Herrn Horn, der die übrigen Fahrgäste dringend bat, doch bitte schön im
Fahrzeug zu bleiben.
Seinem Anliegen wurde in einer für Eisenbahnfreunde typischen Art
entsprochen - 10 Minuten später waren fast alle draußen.
Pannen pflegen ja bekanntlich auf nicht unmittelbar betroffene Personen
ihre ureigenen Reize auszuüben, so eben auch hier, als das an sich
unerfreuliche Ereignis eben zu einer "Fotoreparatur mit
Scheininstandsetzung" umfunktioniert wurde.
Was nicht heißen soll, dass niemand dem armen Herrn Büttner geholfen
hätte. Nein vielmehr bot die Gruppe den Besten der Besten auf und ein
gestandener Dipl.-Ing. aus Dreieichenhain hielt dem Triebwagenführer
die Lampe.
Da hockten sie nun und fummelten herum, während von einer nahen
Schokoladenfabrik ein penetranter Geruch herüberwehte. Immerhin das
ausgebreitete Werkzeug war geeignet, einem die Scheu vor der modernen
Technik, jedenfalls der von 1935, zu nehmen. Einige Schraubenschlüssel
und einige Meter Kabel, das war eigentlich alles und damit hätte man im
Prinzip auch den Glaszug von Roco wieder zum Laufen gebracht.
Nur das Original, das war halt hartnäckiger und besagtes
Aufschaltrelais gab sich störrisch. Zwar tat dies der Stimmung der
Fahrgäste keinen Abbruch, mittlerweile hatten sich etwa 20 Aufseher um
den einen Arbeiter geschart, doch dem Fahrdienstleiter schien die
Situation überhaupt nicht zu behagen.
Dauernd bat er per Lautsprecher um Anruf, so dass wir unseren
"Co-Piloten" und Lotsen losschicken mussten, um ihn zu besänftigen;
während unverdrossen weiter nach dem Fehler gesucht wurde, vernahmen
wir die Ansage für die übrigen Fahrgäste:
"Die S1 nach Wiesbaden fährt heute nicht vom Gleis 2 sondern vom Gleis 1 ab; ich wiederhole .......!"
Ob einige dieser Personen wegen der zu verrichtenden zusätzlichen
sportlichen Leistung rabenschwarzen Gedanken nachhingen, konnten wir
von unserer Warte, ganz am Ende des Bahnsteigs, leider nicht
feststellen.
Doch nicht genug damit, auch die Fahrgäste der passierenden IC's kamen
endlich einmal in den Genuss, das Überholungsgleis des Bahnhofs
Hattersheim erleben zu dürfen. Wie viele von ihnen mögen auf solch eine
Gelegenheit gewartet haben; nur dieser Fahrdienstleiter brachte dafür
überhaupt kein Verständnis auf.
Nachdem eine knappe Stunde vergangen war, entschloss er sich zu einer
radikalen Maßnahme und bestellte eine Hilfslok. Da bei unserem
Patienten keinerlei Besserung zu erkennen war, blieb letztenendes
nichts anderes übrig, als dieses ultimative Angebot zu akzeptieren.
Doch was war nun plötzlich in unseren wackeren Triebwagenführer
geraten? Mit einem Male verlangte er nach einem Hammer! Wir ahnten
schon Schlimmes, stellten aber bald erleichtert fest, dass er ihn zu
etwas anderem als dem ursprünglich angenommenen Zweck benötigte.
Ein verwegener Gedanke war ihn durchfahren - und auf einmal ging es! Da hieß es schnell einsteigen und Hattersheim adieu sagen. Vielleicht können einige Glaszug-Fans dieses denkwürdige Ereignis der Nachwelt festhalten, indem sie am Ausfahrtssignal des Gleises 2 an diesem Bahnhof eine Gedenktafel anbringen, die da lautet: "Hier stand am 2. Oktober 1985 der Gläserne Zug und wurde repariert".
Wir jedenfalls machten uns schleunigst aus dem Staube, nicht ohne
die Hilfslok zu grüßen, die uns auf dem Gegengleis passierte.
Aber es ist ja immer so: Solange man sich vornimmt nett zu sein, wird
man nur auf den Arm genommen. Erst wenn man anfängt zu drohen, dann
funktioniert es plötzlich. Das war schon seit jeher mit den Menschen so
und die Technik ist da keinen Deut besser.
In schneller Fahrt ging es zum Bahnhof Wiesbaden Ost, wo wir auf einer
Verbindungskurve - noch einer - den Hauptbahnhof den Stadt umfuhren.
Dazu musste natürlich die Fahrt entsprechend verlangsamt werden, um die
Weichenstraßen nehmen zu können und so wurde es wieder spannend. Einige
deutlich zu bemerkende Rucke zeigten den Fahrgästen, dass sich das
bewusste Aufschaltrelais noch keinesfalls als geschlagen betrachtete.
Unser Herr Büttner schaffte es aber, ihm gut zuzureden, so dass der
gute 491 001 bald wieder Fahrt aufnahm. Inzwischen war es dunkel
geworden; Rüdesheim zog vorbei; es erschien zu dieser Stunde seltsam
leer.
Weiter ging es in den Abend: Aus der Finsternis grüssten hell
erleuchtete Burgen die Insassen des Gläsernen Zuges, die es genossen,
endlich einmal rechtsrheinisch zu fahren, was durch die
Fahrplangestaltung der IC's etwas erzwungen worden war.
Schemenhaft war die Statue der Loreley im Strom zu sehen. Doch was ein
echter Eisenbahnfreund ist, für den ist die Durchfahrt durch den
Loreleytunnel natürlich viel wichtiger.
Oberlahnstein wurde durchfahren und dann Niederlahnstein. Hier sollten
wir abbiegen und den Rhein überqueren um Koblenz zu erreichen. Also
zeigte das Signal programmgemäß Hp2 zum Abzweig auf die Horchheimer
Brücke, so dass man nicht umhin kam, den Glaszug abzubremsen.
Doch als wir den Abzweig hinter uns hatten, versagte das verdammte
Relais ein weiteres Mal und es hieß wieder: "Rien ne vas plus!" Es
blieb unserem wackeren Triebwagenführer nichts anderes übrig als kurz
vor der Brücke anzuhalten, sein Werkzeug zu schnappen und sich an
diesem Gerät nochmals zu versuchen.
Im Gegensatz zum Bahnhof Hattersheim stand der 491 001 allerdings auf
freier Strecke, so dass wir aus Sicherheitsgründen nicht mal mehr
unseren Dipl.-Ing. zum Halten der Lampe delegieren konnten.
Nein, hier mussten die Herren Eisenbahner höchstpersönlich ran.
Andernorts wurde man bereits wieder unruhig. Mit einem Male war im
Triebwagen der Zugbahnfunk zu vernehmen und wir wurden Zeugen des
Gesprächs zweier Fahrdienstleiter: "....Der sucht sich da draußen
wohl'ne Platz zum übernachten....."
Da kam jemand auf die Idee, den Glaszug selbst anzurufen und unser Co-Pilot rannte "zum Telefon" - das Rufsignal des Zugbahnfunks ist nun wirklich nicht zu überhören. "Habt ihr Probleme mit der Lok?" wurden wir gefragt. "Dat is keine Lok", gab der Lotse zurück, "dat is so'n oller Treibriemen ...... jeht aber gleich weiter!" Also das war nun wirklich neu! Dem ET 491 hat man schon manchen Namen gegeben: Aussichtstriebwagen, Glaszug, Glaswagen, Gläserner Zug...... aber "Treibriemen" hatte noch niemand zu ihm gesagt. Wie gut, dass der Schutzpatron dieses Gefährtes nicht zugegen war, sondern bereits in Bochum-Dahlhausen weilte, sonst wären wir vielleicht noch Zeugen eines Mordfalls geworden. Sogleich ging es übrigens doch nicht weiter, ein nachfolgender Personenzug musste jedenfalls auf dem falschen Gleis nach Koblenz geleitet werden. Immerhin ein Hoch auf die moderne Signaltechnik, die so etwas ohne größere Umstände ermöglicht.
Letzten Endes blieb unser Herr Büttner aber doch Sieger über sein ausnahmsweise etwas widerspenstiges Fahrzeug und wir liefen in Koblenz Hauptbahnhof ein, wo der Verfasser dieser Zeilen den Gläsernen Zug verließ. Als dieser dann den Abfahrauftrag erhielt und sich in Bewegung setzte, gab es allerdings einige, die den Eindruck erweckten, als würden sie ihn anschieben. Laut Herrn Büttner sei dies jedoch nicht notwendig gewesen und es gibt tatsächlich Personen, die bezeugen können, dass der Gläserne Zug noch am selben Abend Essen Hbf erreicht hatte.
(1) Im Oktober 1985 stand noch nicht fest ob der Gläserne Zug, dessen Frist am 23.12.85 ablief, eine neue Hauptuntersuchung bekommt.
Der Gläserne Zug Impressionen